Ist die Zukunft mehrheitsfähig?

Warum werden gerade diejenigen Wünsche, die sich auf Irrtümern gründen, in uns übermächtig? Nichts haben sie mir später mehr übelgenommen als meine Weigerung, mich ihrem fatalen Wunschentzücken hinzugeben.

Christa Wolf, Kassandra
Théâtre Aventicum

Ein kürzlich erschienenes Editorial in der Washington Post gibt zu denken. Bezugnehmend auf einen Bericht des World Resources Institute wird die Frage gestellt, ob es in 30 Jahren möglich sein wird, die Menschheit zu ernähren, ohne den Planeten zu verheizen. Heute wird weltweit genug Essen produziert, aber der ökologische Preis dafür ist sehr hoch und die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft reichen aus, um das Klima des Planeten zu destabilisieren. Dazu kommen andere Probleme, wie Bodenerosion und die Zerstörung von Biodiversität. Auf die Frage, ob es möglich sein wird, die Lebensmittelproduktion bei reduziertem ökologischem Fussabdruck signifikant zu steigern, haben wir schlicht keine Antwort.

Was ist mit einer Gesellschaft los, die eine massive Nahrungsversorgungskrise in weniger als 30 Jahren vorhersagen kann, aber nicht fähig ist, darauf zu reagieren? Wieso stellen wir nicht Ressourcen zur Verfügung, um dieses Problem zu lösen? Junge Menschen sind gesetzlich verpflichtet, Geld in Pensionskassen anzulegen, um vielleicht in 40 Jahren eine Rente zu bekommen. Das Geld wird teilweise in absurde Bauprojekte oder Ölförderung investiert, damit irgendwie eine fiktive Rendite erwirtschaftet werden kann. Es scheint aber niemanden zu interessieren, ob es in 30 Jahren etwas zu essen gibt. Das ist doch absurd!

Ein grosses Problem der heutigen Welt ist, dass sich die Mächtigen gar nicht für die Zukunft interessieren. Da sie mehrheitlich männlich, alt, weiss, und reich sind, haben sie andere Prioritäten. Wirtschaftlich macht es für diese Leute keinen Sinn, auf Konsum und Ressourcenverbrauch zu verzichten, damit die nächste Generation auch etwas zu essen haben wird. Die Jugend und Menschen aus dem globalen Süden haben leider politisch und wirtschaftlich wenig zu sagen. Somit erstaunt es nicht, dass die heutige Klima- und Umweltpolitik mit Palliativpflege grosse Ähnlichkeiten aufweist. Es geht nur darum, die letzten Tage der Menschheit möglichst komfortabel zu gestalten. Auf lange Sicht sind wir eh alle tot.

Auch in gut funktionierenden Demokratien ist die Situation nicht besser. Wir müssen uns wohl mit dem Gedanken abfinden, dass die Zukunft nicht mehrheitsfähig ist. Für eine transformative Veränderung der Gesellschaft, die für das Aufhalten der Klimakatastrophe erforderlich wäre, lassen sich im Moment keine politischen Mehrheiten finden. Die zentrale Frage ist, ob die Menschen wirklich bereit sind, ihre Kinder auf dem Altar des Materialismus zu opfern. Oder sind sie vielleicht einfach ungenügend informiert? (vgl. “The hope lies in the fact that people don’t know what is going on”, Interview mit Greta Thunberg.)

Hören wir doch endlich auf, über technische Lösungen und Details zu reden. Es spielt keine Rolle, ob wir die CO2-Emissionen mit einer Steuer oder über Zertifikatshandel senken. Das zentrale Problem ist doch, dass wir diese Emissionen gar nicht senken wollen, weil wir bei wachsender Bevölkerung immer mehr Energie pro Kopf brauchen. Wer jährlich aus Langeweile tausende von Kilometern fliegen möchte, braucht mehr Energie als wenn er zuhause bliebe. Mit einem zweieinhalb Tonnen schweren SUV herumzufahren macht absolut keinen Sinn, egal ob dieser mit Strom oder Benzin angetrieben wird. Wer eine grosse Wohnfläche hat, braucht mehr Ressourcen und Energie als jemand mit wenig Platzbedarf. Wer täglich Fleisch isst, hat einen hohen ökologischen Fussabdruck. Man kann nicht mehr essen und weniger scheissen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Die Klimakrise ist im Kern eine ethisch-moralische Krise, weshalb auch viele Menschen so emotional auf angebliche Weltverbesser*innen reagieren. Wir sehen Greta Thunberg und verstehen sofort, dass sie recht hat und uns moralisch weit überlegen ist. Ihre Botschaft «Du musst dein Leben ändern» kommt aber schlecht an. Wir wollen gar nicht akzeptieren, dass wir eine Wahl haben. Wenn wir einen lebenswerten Planeten erhalten wollen, müssen wir auch bereit sein, die dafür erforderlichen Massnahmen zu beschliessen und umzusetzen. Es ist dabei egal, ob sie wirtschaftlich Sinn machen oder nicht. Der Homo Oeconomicus wird den Planeten nicht retten, der Homo Sapiens vielleicht schon.

Es stellt sich somit die Sinnfrage. Werde ich am Ende meines Lebens die Gewissheit ertragen können, dass mein Lebensstil die Zukunft meiner Kinder zerstört hat und dass ich nichts unternommen habe, um dies zu verhindern? Werde ich nicht glücklicher, wenn ich zusammen mit jungen Menschen für die Zukunft kämpfe? Für mich war die Entscheidung einfach. Als Egoist und Feigling zu sterben, macht wirklich keinen Spass.

PS: Ein interessanter Beitrag zu Bescheidenheit und Lebenszufriedenheit ist heute im SRF Kontext erschienen.

5 thoughts on “Ist die Zukunft mehrheitsfähig?

  1. Kleine Richtigstellung: “Junge Menschen sind gesetzlich verpflichtet, Geld in Pensionskassen anzulegen, um vielleicht in 40 Jahren eine Rente zu bekommen.” Das stimmt (jedenfalls in der Schweiz) nur für Unselbstständig-Erwerbende, nicht für Selbstständig-Erwerbende: Für letztere ist nur die Bezahlung der AHV-Beiträge (“1. Säule”) verpflichtend – und die AHV funktioniert sinnvollerweise nicht nach dem Kapitaläufnungs-, sondern nach dem Umlageprinzip. Will heißen: Die derzeit aktiv Arbeitenden kommen hier und jetzt für die derzeit im Ruhestand Befindlichen auf. Dagegen ist nichts einzuwenden … außer dass die Minimalrente der AHV weit davon entfernt ist, ein realistisches Existenzminimum zu decken, wie sie es nach der ursprünglichen Idee eigentlich sollte. – Dass die Pensionskassen (“2. Säule”) auf eine kontinuierliche Rendite und somit auf ein niemals endenes, expontielles Wirtschaftswachstum angewiesen sind, liegt allerdings quer zur heute offensichtlichen Realität und sollte tatsächlich dringendst hinterfragt werden. – Und ein kleiner Kritikpunkt: “Zusammen mit jungen Menschen für die Zukunft kämpfen” reicht natürlich auch nicht. Wir müssen diese Zukunft zusammen mit diesen jungen Menschen konkret schaffen und bauen. Also nicht (nur) den allzu trägen “männlichen älteren weißen” Mitmenschen ins Gewissen reden, bis sie entweder am Boden zerstört sind oder “abschalten”, nein: Eben durchaus auch über “technische Lösungen und Details reden”; nicht im Sinne endloser Debatten, sondern um im positiven Sinne aufzuzeigen: Hey, es gibt Lösungen, wollt ihr darüber mehr erfahren? Ich tue beides (auch mal um 20:52 Uhr wie jetzt …) und ich glaube zu wissen, dass das für Herrn Nordberg vollumfänglich ebenfalls zutrifft 😉

    1. Hallo Herr Blatter. Ich bin natürlich mit Ihren Kommentaren grösstenteils einverstanden. Das Problem ist nur, dass wir (als Gesellschaft) uns noch nicht entschieden haben, ob wir das Klimaproblem wirklich lösen wollen. Im Moment sind wir die Meinung, dass wir das Problem nur dann lösen wollen, wenn es nichts kostet. Mit der Eventualität, dass es vielleicht sehr viel Geld kosten wird, haben wir uns politisch noch nicht auseinandergesetzt. Dies sollten wir schleunigst tun. Selbstverständlich brauchen wir neue Technologien und schlaue Lösungen. Wenn wir uns nicht über das Ziel einig sind, ist es schwierig, einen anständigen Projektplan zu erstellen.

  2. Auf die Zukunft zu setzen ist nicht mehrheitsfähig? Denkt nach und mit, was jetzt bei den Grokoverhandlungen passiert. Da sind die Sturen, Unbelehrbaren der Union. Dagegen stehen die, die Änderung durchsetzen wollen um und mit Esgen/Borjans. Sie sind bereit, wenn die Sturen, Unbelehrbaren bei ihrer Sturheit und Unbelehrbarkeit bleiben, die Groko zu zerbrechen! Wir müssen die Schritte, die getan werden, genau verfolgen und begleiten! Als nächstes ist da das CO². Esgen/Borjans wollen durchsetzen, dass die CO²-Besteuerung deutlich erhöht wird, Laschet will ein bißchen entgegenkommen und meint, damit hätte es sich! Von wegen! Hier geht’s um die Wurst. die Höhe wie die FvF, Fridays for Future wollen, muss es schon sein. Wir haben damit den springenden Knackpunkt erreicht. Hier stehen wir, wir können anders, Gott helfe uns. Ein Unionist sagte schon: Lieber ein Ende mit Sdchrecken, als…Wenn die Union an ihrem Kipppunkt gelangt ist: Sei’s drum. Dann sehen wir klarer und wissen was zu tun ist!

  3. Ich finde es ist NICHT so sehr EIN MORALISCHES PROBLEM, sondern eines der Strukturen, in denen wir leben. Viele “kleine” Leute sind eben auch resigniert, weil sie kaum “finanzielle Luft” für Veränderungen haben. Das in-den-Urlaub-Fliegen machen viele ja auch, um mal für zwei Wochen aus dem unangenehmen Alltag heraus zu kommen, und in die Türkei zu fliegen ist billiger als an der Ostsee Urlaub zu machen. Wenn man sieht, wie viel teurer Miete, Energie und Nahrungsmittel sind, dass man für viele Krankheitskosten inzwischen selbst aufkommen muss … Außerdem scheinen sehr wenige Politiker aus technischen, ignieursmäßigen oder wissenschaftlichen Bereichen zu kommen: die meisten sind Verwaltungsbeamte oder Lehrer, die nämlich für Politik freigestellt werden.
    Oft scheinen sie mir überfordert von der Komplexität der Sache, den nervösen Wählern und dem Druck der Lobbies. Die Firmen üben natürlich umso mehr Druck aus, je überforderter und inkompetenter die Politiker ihnen vorkommen… Und dann natürlich der Druck aus den USA, die inzwischen nur noch nach dem eigenen Vorteil streben, egal wie, und der riesigen Finanzwirtschaft.
    Außerdem brauchen Politiker erst mal 20 Jahre nur Marketingtalent, um sich gut darzustellen. Wenn sie an der Macht sind brauchen sie eigentlich ganz andere Fähigkeiten, nämliche Projektmanagement und Führung.
    Vielleicht sollten alle Landes- und Bundespolitiker erst mal ein zweijähriges Aufbaustudium mit Note < 1.5 durchlaufen müssen, das würde sicher helfen.

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