Dieser Text bezieht sich auf einen Artikel von Hans Rentsch in der NZZ am Sonntag vom 17.03.19 mit dem Titel: “Naive Ideen machen Informationsmangel nicht wett.”
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Geschrieben von Ingmar Nordborg
Scientists for Future
“Die Anliegen der demonstrierenden jungen Menschen sind berechtigt.”
So beginnt die Stellungnahme der Scientists for Future. 23’000 Wissenschaftler*innen aus dem deutschsprachigen Raum, übrigens auch viele Ökonomen, haben die Stellungnahme unterschrieben. Weitere Unterstützung unserer Forderungen bekommen die Streikenden durch die UNO, welche 2015 die Sustainable Development Goals für 2030 formuliert hat. Die globale Passivität und der Status Quo verhindern das Erreichen dieser Ziele. Auch deshalb braucht es unsere Forderungen und Ideen.
Dieser Text widerspiegelt nicht die Meinung der Streikenden und erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr ist er eine Antwort auf den eingangs erwähnten Artikel. Trotzdem werden sich die Meinungen überschneiden, da alle Streikenden ähnliche Ziele verfolgen. Was Herr Rentsch in seinem Artikel behauptet ist zumindest für mich als jungen Menschen, aber auch für viele andere Streikenden unverständlich. Darum sollten solche Artikel in Zukunft nicht unkommentiert bleiben, da sie meiner Meinung nach den Diskurs verzerren.
Herr Rentsch beginnt seinen Artikel mit dem Versuch Frau Sommaruga als Umweltministerin zu diskreditieren, weil sie den Dialog mit den Streikenden sucht und bereit ist ihnen zuzuhören. Er schreibt: “ Das Engagement der Klimajugend beeindruckt auch Umweltministerin Simonetta Sommaruga. Das ist bedenklich. ” Dies ist bedenklich. Den Willen, sich mit uns und unseren Forderungen überhaupt eingehend zu beschäftigen, scheint Herr Rentsch nicht zu haben. Er verwirft unsere Forderungen als unmoralisch, da wir auf potentielle Kompensationstechnologien verzichten wollen. Prinzipiell lehnen wir keine Methoden zur Kompensation ab. Jedoch verlangen wir, dass Massnahmen zur Lösung der Klimakrise, wenn möglich grösstenteils ohne den Einbezug nicht-existenter oder noch nicht skalierbarer Kompensationsmechanismen, wie Carbon Dioxide Removal, ergriffen werden. Im Gespräch mit Ingenieur*innen, die sich mit dieser Technologie befassen, betonen sie, dass solche Anlagen noch nicht genügend Emissionen kompensieren können. Sie könnten in Zukunft aber durchaus nützlich sein, wenn es darum geht der Atmosphäre CO2 zu entziehen, um die Erwärmung effektiv zu stoppen.
Als nächstes vergleicht er die Bildungskampagnen verschiedener Organisationen mit dem propagandistischen Bildungssystem der DDR. Auch hier erklärt Herr Rentsch keineswegs, welch manipulierende Botschaft die angesprochenen Materialien verbreiten. Den Vorwurf einer Volksbildung in DDRschem Sinne belegt er nicht. Vielmehr geht es bei der Informationskampagne von MyClimate oder Swisscom darum, den Klimawandel zu erklären und die Leute darüber zu informieren; Damit würde die uns vorgeworfene Unwissenheit behoben. Eine Massnahme, die Herr Rentsch eigentlich befürworten sollte. Er hat recht, wenn er behauptet, dass die Schweiz die Klimakrise nicht alleine lösen kann. Dies legitimiert aber keinesfalls die jetzige, unzureichende Klimapolitik der Schweiz. Unser Land, wie andere Länder des globalen Nordens, hat disproportional von der Verwendung fossiler Energie profitiert, wodurch unser heutiger materieller Wohlstand generiert wurde. Unseren Forderungen nachzukommen ist moralisch gerechtfertigt, für unseren zukünftigen Fortbestand zwingend und sogar technologisch möglich.
Wir haben das Trittbrettfahrer-Problem sehr wohl verstanden. Natürlich werden die Regierungen der Länder der Welt so lange nicht handeln, bis genügend zivilgesellschaftlicher Druck sie dazu zwingt. Der Widerstand gegen die Untätigkeit beginnt sich zu formieren. Der globale Streik des 15. März hat gezeigt, dass es sich bei der Klimakrise nicht um ein Luxusproblem handelt, sondern eine Krise, die die Kraft hat, die gesamte Zivilisation auszulöschen. Zudem bewegt und mobilisiert dieses Problem Menschen aller Kontinente, die sich der kritischen Situation bewusst sind.
Bezüglich des Emissionshandels als letzte Hoffnung, irrt sich Herr Rentsch gewaltig. Zwar ist es billiger, im Ausland zu kompensieren. Die Wirkung ist aber keinesfalls grösser. Besser als Kompensation ist das Vermeiden der Verbrennung fossiler Energieträger. Das heisst: Ein Flug weniger schützt das Klima wesentlich mehr, als die Einsparung potentieller Emissionen, beispielsweise durch den Bau einer Photovoltaikanlage in Indien. Kritiker*innen assoziieren dieses System mit dem Ablasshandel des Mittelalters, welcher eine seriöse Diskussion um unseren Konsum bereits im Keim erstickt. Das eine schliesst das andere selbstredend nicht aus. Kompensation kann und sollte natürlich im Inland und Ausland betrieben werden. Eine sinnvolle Art Emissionen zu kompensieren, ist die Wiederaufforstung. Dadurch wird der Atmosphäre nicht nur CO2 entzogen, sondern auch Ökosysteme wieder hergestellt, die unter der Abholzung stark gelitten haben.
Zudem trägt der Finanzplatz Schweiz eine enorme Verantwortung bezüglich der Bekämpfung der Klimakrise. Einerseits tragen die in der Schweiz ansässigen Banken durch ihre Investitionen massgeblich zur Umweltzerstörung, wie auch zu Menschenrechtsverletzungen bei. Andererseits bietet die Schweiz einigen Konzernen (wie Glencore) eine “Heimat”, die vor allem in den Abbau verschiedener Ressourcen investieren. Gemässe eines neuen Berichts des UN Environment, ist der Abbau und die Verarbeitung verschiedener Ressourcen, wie Kohle, Öl, Gas, aber auch Metalle und Mineralien für ungefähr die Hälfte der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Zudem sind auch 80% des Verlusts der Biodiversität auf diese Aktivitäten zurückzuführen. Die Klimakrise exklusiv auf das Individuum abzuwälzen, scheint angesichts dieser Tatsachen fehl.
Die Klimakrise als isoliertes, einzelnes Problem, gar als Luxusproblem zu bezeichnen, ist falsch und vor allem fahrlässig. Herr Rentsch suggeriert, dass unsere Konsumgesellschaft über den Interessen aller Menschen stehen sollte. Diese selbstgefällige Haltung, mit der wir wohlwissend unsere Interessen über das Leben anderer Menschen stellen, verhindert jeden ernsthaften Diskurs über die Lösung der Klimakrise. Der Klimawandel droht wie ein Brandbeschleuniger, bestehende Probleme zu intensivieren und Gesellschaften weiter zu destabilisieren. Ausserdem trifft diese Krise disproportional Menschen des globalen Südens. Eine beispiellose globale Migration vom Süden in den Norden wäre, bei einer ungebremsten Erwärmung, möglich, wenn der globale Norden sie nicht in der Anpassung unterstützt. Dagegen wäre die russische Revolution nichts als ein Scharmützel.
Sogar das Pentagon stuft die Klimakrise als ernstzunehmende Bedrohung ein, die die Verteidigungsfähigkeit und Interessen Amerikas fundamental beeinträchtigt. Darum werden beispielsweise vom steigenden Meeresspiegel bedrohte Militärbasen verschoben.
Die thematisierte Online-Umfrage weist insofern auf eine Stimmungslage hin, die dem Ernst der Lage nicht gerecht wird. Diese Umfrage diskreditiert in keinster Weise unsere Anliegen. Herr Rentsch zieht die falschen Schlüsse aus der Umfrage. Das Problem seiner Schlussfolgerung besteht darin, dass er nicht zu verstehen scheint, dass die Klimakrise offensichtlich abstrakter ist und deshalb auch weniger greifbar, als Probleme wie Migration, Krankenkassenprämien oder andere Themata, die die Menschen tagtäglich beschäftigen. Vielmehr zeugt das Resultat von einer Wissenslücke seitens der Bevölkerung. Hierfür wäre wahrscheinlich eine intensivere Kommunikations- und Bildungskampagne notwendig, um den Menschen die Konsequenzen einer ungebremsten globalen Erwärmung aufzuzeigen. Der kürzlich erschienene IPCC-Bericht, SR15, zeigt diese Folgen deutlich auf.
Wer die Klimakrise mit dem venezolanischen Staatsversagen gleichsetzt, hat die Tragweite des Problems nicht verstanden. Zumal die Klimakrise die Zustände in Venezuela noch deutlich verschlimmern könnte. Auch hier ist nicht verständlich, warum sozialistische Realexperimente und Staatsversagen in einem Text erwähnt werden müssen, der von der Klimajugend handelt. Offensichtlich scheint Herr Rentsch nicht anerkennen zu wollen, dass es für eine wirksame Bekämpfung der Klimakrise stabile und gerechte Gesellschaften braucht, wie wir sie hier im globalen Norden haben. Auch das autonom regierte Rojava widmet sich, da es nun ein gewisses Mass an Stabilität und Sicherheit erlangt hat, den ökologischen Problemen ihres Staates. Im Gegensatz zu Herrn Rentsch haben sie erkannt, dass man die Natur nicht bekämpfen muss, um Wohlstand und Fortschritt zu generieren. Was Rojava kann, sollte die Schweiz schon lange können. Das Marktversagen, das Herr Rentsch leider nicht erwähnt, ist genau die Klimakrise, von der er behauptet, dass wir keine Ahnung hätten. Sobald dieses Marktversagen anerkannt wird, können Massnahmen zur Korrektur eingeleitet werden.
Schaden die Klimaverharmloser*innen der Klimadebatte nicht genauso, wie die Leugner*innen, indem sie den Ergebnissen der Wissenschaftler*innen nur beschränkt Gehör schenken und sich konsequent weigern, die entsprechenden und nötigen Massnahmen einzuleiten?