Die Wirtschaftsleugner

Wirtschaftsleugner (meistens männlich): eine Person, die den eindeutigen Zusammenhang zwischen Wirtschaftsleistung, Ressourcenverbrauch und ökologischem Fussabdruck leugnet und ohne belegbare Argumente und mit Verweis auf noch zu erfindende Technologien für eine Lösung der Klimakrise innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystems argumentiert.

Als «Klimaleugner» werden Personen bezeichnet, welche mit falschen Daten und mehrmals widerlegten Argumenten eine zielführende klimapolitische Debatte verhindern. Häufig handelt es sich um bezahlte Provokateure, die von irgendwelchen Thinktanks oder direkt von den Ölfirmen finanziert werden, um die menschengemachte Klimaerwärmung zu leugnen. Was sie wirklich glauben, wissen wir nicht, denn sie machen ja nur ihren Job. Leider waren sie in der Vergangenheit recht erfolgreich und haben wirksame klimapolitische Massnahmen blockieren können. Inzwischen sind sie aber durch Fakten dermassen diskreditiert, dass sie grösstenteils ignoriert werden können.

Heute liegt das Problem woanders. Viele Umfragen zeigen, dass weltweit etwa zwei Drittel der Menschen von der Gefährlichkeit der Klimaerwärmung überzeugt sind. Nehmen wir an, wir könnten diese Zahl auf 100% erhöhen. Wäre die Klimakrise dadurch gelöst? Wohl kaum, da wir immer noch Gründe finden würden, untätig zu bleiben. Es macht sich schlecht, wenn die politische Mehrheit der Minderheit die Schuld dafür gibt, dass nichts passiert.

Das wirkliche Problem sind nicht die Klimaleugner, sondern die «Wirtschaftsleugner». Damit meine ich Menschen, die den offensichtlichen Zusammenhang zwischen Wirtschaftsleistung und Umweltzerstörung leugnen. Sie sind zahlreicher, gefährlicher und in einem gewissen Sinne ignoranter als die Klimaleugner. Denn sie leugnen etwas, was eigentlich offensichtlich ist. Jedes Kind versteht, dass der Bau eines Autos eine kleinere ökologische Katastrophe darstellt, egal ob es sich um ein Elektroauto oder ein Dieselfahrzeug handelt. Es werden nicht-erneuerbare Ressourcen aus dem Boden geholt, die nachher auf einer Mülldeponie landen. Der ökologische Schaden ist irreparabel. Analog sind Windturbinen und Solarpanels weder nachhaltig noch ökologisch. Unter der Annahme, dass wir den Strom unbedingt brauchen, macht es selbstverständlich Sinn, diesen mit Sonne oder Wind zu erzeugen. Für die Umwelt wäre es aber besser, möglichst wenig Strom zu verbrauchen.

Für die Wirtschaftsleugner gibt es kein fundamentales Problem mit dem heutigen Wirtschaftssystem. Die Klimakrise soll vollständig durch technische Innovation gelöst werden, welche am besten über Kredite von der nächsten Generation finanziert wird. So wird sichergestellt, dass unsere Kinder nicht nur die Auswirkungen der Klimaerwärmung, sondern auch die finanziellen Kosten der gescheiterten Klimapolitik zu tragen haben werden.

Die Wirtschaftsleugner haben den Vorteil, dass der Fortschrittsglaube unserer Gesellschaft den Status einer Religion bekommen hat. Probleme ohne technische Lösungen gibt es nicht, weil es sie nicht geben darf. Auch beim Coronavirus gehen wir davon aus, dass die Wissenschaft möglichst bald eine Lösung finden wird. Dass diese von grossen Pharmaunternehmen mithilfe von Gentechnik und Tierversuchen entwickelt wird, ist den Menschen diesmal egal.

Selbstverständlich brauchen wir Wissenschaft und neue Technologien, um die Herausforderungen der Menschheit zu meistern. Das Problem ist nur, dass die politische Debatte von Dogmen überschattet wird, welche komplett unwissenschaftlich sind. So wird die Notwendigkeit des Wirtschaftswachstums noch nicht ernsthaft in Frage gestellt, obwohl das BIP eher Umweltzerstörung als menschliches Glück misst. Mit einem zweieinhalb Tonnen schweren SUV herumzufahren macht keinen Sinn, egal ob der Antrieb elektrisch ist oder nicht. Eine solarbetriebene Gartenbeleuchtung ist für die Umwelt schlechter als keine Gartenbeleuchtung. Eine grosse Wohnfläche braucht mehr Ressourcen also eine kleine. Diese einfachen Feststellungen werden auch nach der erhofften Energiewende gültig sein.

Technologie ist immer nur ein Mittel, um ein Ziel zu erreichen. Die Festlegung des Zieles ist Aufgabe der Politik, die allerdings die technische Machbarkeit berücksichtigen muss. Auf ein Wunder zu hoffen ist keine Strategie.

Es gibt inzwischen viele Vordenker*innen, die das jetzige Wirtschaftssystem hinterfragen: Kate Raworth, Jason Hickel, Irmi Seidel, Julia Steinberger, Nico Paech, Harald Welzer, Graeme Maxton und Yuval Harari, um nur einige Namen zu nennen. Sie werden gelesen, diskutiert und ignoriert. Immer mehr wissenschaftliche Artikel stellen den eindeutigen Zusammenhang zwischen Konsum und ökologischem Fussabdruck fest: Reiche Menschen verursachen einen grossen ökologischen Schaden, arme Menschen einen etwas kleineren. Kann Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werden? Dies ist die für unseren politischen Handlungsspielraum entscheidende Frage. Seriöse Forschung und der gesunde Menschenverstand kommen zum Schluss, dass eine Entkopplung nicht möglich ist. Nachhaltiges Wachstum ist Wunschdenken!

Die Menschen haben aber grosse Angst, etwas aufgeben zu müssen. Wie Upton Sinclair es so wunderbar formuliert hat: «Es ist schwierig jemandem etwas zu erklären, wenn sein Gehalt davon abhängig ist, dass er es nicht versteht». Deshalb suchen wir alle nach Lösungen, die keine Gefahr des Bestehenden darstellen. Der Informatiker möchte die Klimakrise mit der Blockchain lösen, der Banker mit nachhaltigen Investitionen und der Elektrotechniker mit E-Mobilität. Diese Ansätze sind per se nicht schlecht, aber sie reichen bei weitem nicht aus, um die Herausforderungen der Menschen zu lösen. Sie können sogar kontraproduktiv sein, wie ein Beispiel aus Afghanistan zeigt. Die Provinz Helmand erlebt gerade einen veritablen Solarboom, der komplett privatwirtschaftlich finanziert wird. Die Solarpanels haben die Kosten für künstliche Bewässerung massiv gesenkt, was zu einem signifikanten Anstieg der weltweiten Opiumproduktion geführt hat. Leider hat die Entwicklung auch dazu geführt, dass der Grundwasserpegel um etwa 3 m pro Jahr sinkt. Wir stehen somit vor der vielleicht ersten durch erneuerbare Energien verursachten ökologischen Katastrophe der Welt.

Seit 30 Jahren versuchen wir unsere Umweltprobleme mit technischen Lösungen in den Griff zu bekommen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurde so viel fossiler Brennstoff verfeuert wie im Jahr 2019. Es ist höchste Zeit, einen anderen Weg einzuschlagen. Die Einsicht, dass wir für die Lösung der Klimakrise eine komplette Transformation der Gesellschaft bräuchten, ist aber keine schlechte Nachricht. Sie gäbe uns die Möglichkeit, ein ganz neues Wirtschaftssystem aufzubauen, was tatsächlich eine spannende Aufgabe wäre. Allerdings dürfen wir uns dann nicht auf technische Innovationen beschränken. Menschen, die Lösungen nur innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystems suchen, sind weder innovativ noch besonders mutig. Aus Bequemlichkeit, Angst oder reiner Denkfaulheit leugnen sie das Hauptproblem unserer Gesellschaft. Die Klimaleugner konnten während Jahrzehnte wirksame politische Massnahmen gegen die Klimaerwärmung verhindern. Wir können nicht zulassen, dass den Wirtschaftsleugnern das Gleiche gelingt.

Hinweise

Die eleganteste Lösungen der globalen Klimakrise ist hier zu finden: www.global-climate-compensation.org.

Am 4. September meldet sich der Klimastreik zurück.

Am 16. September findet die erste Klimakonferenz des Klimaclusters an der Hochschule in Rapperswil statt.

Lesetipps und Quellen

Oreskes, Naomi; Conway, Eric M. (2010): Merchants of doubt. How a handful of scientists obscured the truth on issues from tobacco smoking to global warming. London: Bloomsbury.

Fagan, Moira; Huang, Christine (2019): A look at how people around the world view climate change. Pew Research Center. Available online at https://www.pewresearch.org/fact-tank/2019/04/18/a-look-at-how-people-around-the-world-view-climate-change.

Rockström, Johan (2019): Önsketänkande med grön tillväxt – vi måste agera (”Nachhaltiges Wachstum ist Wunschdenken – wir müssen handeln.”. In Svenska Dagbladet, 10/21/2019. Available online at https://www.svd.se/onsketankande-med-gron-tillvaxt–vi-maste-agera/av/johan-rockstrom.

Kuhnhenn, Kai (2018): Economic Growth in mitigation scenarios: A blind spot in climate science. Henrich Böll Stiftung. Available online at https://www.boell.de/en/economic-growth-in-mitigation-scenarios.

Wiedmann, Thomas; Lenzen, Manfred; Keyßer, Lorenz T.; Steinberger, Julia K. (2020): Scientists’ warning on affluence. In Nature communications 11 (1), p. 3107. DOI: 10.1038/s41467-020-16941-y.

Raworth, Kate (2018): Die Donut-Ökonomie. Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört. 2. Auflage. München: Carl Hanser Verlag.

Isaksen, Elisabeth T.; Narbel, Patrick A. (2017): A carbon footprint proportional to expenditure – A case for Norway? In Ecological Economics 131, pp. 152–165. DOI: 10.1016/j.ecolecon.2016.08.027.

Ward, James D.; Sutton, Paul C.; Werner, Adrian D.; Costanza, Robert; Mohr, Steve H.; Simmons, Craig T. (2016): Is Decoupling GDP Growth from Environmental Impact Possible? In PloS one 11 (10), e0164733. DOI: 10.1371/journal.pone.0164733.

Ivanova, Diana; Stadler, Konstantin; Steen-Olsen, Kjartan; Wood, Richard; Vita, Gibran; Tukker, Arnold; Hertwich, Edgar G. (2016): Environmental Impact Assessment of Household Consumption. In Journal of Industrial Ecology 20 (3), pp. 526–536. DOI: 10.1111/jiec.12371.

Hickel, Jason (2019): The contradiction of the sustainable development goals: Growth versus ecology on a finite planet. In Sustainable Development 145 (6), p. 10. DOI: 10.1002/sd.1947.

Larch, Mario; Löning, Markus; Wanner, Joschka (2018): Can degrowth overcome the leakage problem of unilateral climate policy? In Ecological Economics 152, pp. 118–130. DOI: 10.1016/j.ecolecon.2018.05.026.

Welzer, Harald (2017): Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand. 8. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch (Fischer Taschenbuch, 19573).

Hickel, Jason (2018): Die Tyrannei des Wachstums. Wie globale Ungleichheit die Welt spaltet und was dagegen zu tun ist. München: dtv.

Maxton, Graeme P. (2018): Change! Warum wir eine radikale Wende brauchen. Grünwald: Komplett Media.

Rowlatt, Justin (2020): What the heroin industry can teach us about solar power. BBC News. Available online at https://www.bbc.com/news/science-environment-53450688

Global Carbon Pricing and Economic Growth

I have been invited to organize a conference track on carbon pricing at the the 7th RME Research Conference (Responsible Management Education) on October 18-21 2020 at the FHGR in Chur. We are looking for contributions that address the incompatibility of economic growth and climate protection:

The problem with climate change is not that renewable energy is too expensive, but that fossil fuel is too cheap. With current coal prices, the amount of coal required to exhaust the carbon budget of 330 Gt costs less than 7 trillion USD (< 10% of global GPD), or less than 1000 USD per capita. As science and technology are not going to make fossil fuel more expensive, it follows that solving the climate crisis is a political problem, which can only be solved through the introduction of significant global carbon pricing. Most likely, the required price level will be high enough to send the world economy into a long-lasting recession. This track will consider possible mechanisms for the introduction of global carbon pricing and its consequences on employment, technological development, quality of life and economic growth.

Please feel free to submit your contribution to this important topic using this link. The deadline for submissions is May 31, 2020. You can also contact me directly if you have any questions.

Denken ist erlaubt

GALILEI (fast unterwürfig): Meine Herren, der Glaube an die Autorität des Aristoteles ist eine Sache, Fakten, die mit Händen zu greifen sind, eine andere. Sie sagen, nach dem Aristoteles gibt es dort oben Kristallschalen, und so können gewisse Bewegungen nicht stattfinden, weil die Gestirne die Schale durchstoßen müßten. Aber wie, wenn Sie diese Bewegungen konstatieren könnten? Vielleicht sagt Ihnen das, daß es diese Kristallschalen gar nicht gibt? Meine Herren, ich ersuche Sie in aller Demut, Ihren Augen zu trauen.

Brecht, Bertolt. Leben des Galilei: Schauspiel. Suhrkamp Verlag.

Das Problem einer autoritären Erziehung ist, dass die Kinder nie zu denken lernen. Wenn jede ihrer Fragen mit dem Satz «weil ich es sage» beantwortet wird, verlieren Sie ihre Neugier und haben keine Lust mehr, sich selber Gedanken zu machen. Sie gewöhnen sich daran, dass es immer Autoritäten gibt – seien es die Eltern, die Priester oder die Lehrer – die alles besser wissen. Das Erfolgserlebnis des Denkens bleibt aus.

Ein grossartiges Cartoon des iranischen Zeichners Mana Neyestani

Aus den autoritär erzogenen Kindern werden gehorsame Bürger autoritärer Regime. Studien in den USA haben gezeigt, dass die Wähler und Wählerinnen, die für Donald Trump stimmten, sich vor allem einen starken Mann als Präsidenten wünschten. Sie brauchen einen Führer, der immer sofort auf alles eine einfache Antwort hat, ganz unabhängig davon, ob diese richtig ist oder nicht. Das Nachdenken gilt für sie als Zeichen der Schwäche. Diese Haltung ist in der Gesellschaft weit verbreitet. Im Jahr 2000 hatte ich ein Vorstellungsgespräch bei Boston Consulting in Chicago. Die Stelle habe ich nicht bekommen, weil der Personalverantwortliche das Gefühl hatte, ich denke bevor ich spreche. Mit diesem Urteil kann ich gut leben.

Autoritäre Systeme zeichnen sich durch ein einfaches Weltbild und die Unterdrückung abweichender Meinungen aus. Der Neoliberalismus ist deshalb autoritär, da er eine Lösung für alle Probleme postuliert und keine anderen Ideen zulässt. Die berühmte Behauptung von Margret Thatcher, dass es keine Alternative gibt (TINA), lässt sich kaum als Einladung zum Dialog interpretieren.

Wir leben heute in einer Welt, in der die freie Marktwirtschaft als göttliche Ordnung verstanden wird. Unbequeme Fakten werden unterdrückt und Unwahrheiten zu Dogmen erhoben. Obwohl unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten offensichtlich unmöglich ist, wird die Notwendigkeit des Wirtschaftswachstums selten infrage gestellt. Die Tatsache, dass der ökologische Fussabdruck der Menschheit um einen Faktor zwei zu gross ist und immer noch zunimmt, wird von den Mächtigen zur Kenntnis genommen und gleich ignoriert. Was nicht sein darf, kann auch nicht sein. Galileo hätte den Frust der Klimaforscher sofort verstanden.

«Die Wahrheit ist das Kind der Zeit, nicht der Autorität» sagt Galileo im oben zitierten Theaterstück von Bertolt Brecht. Was Galileo wirklich gesagt hat, wissen wir aus einem Brief an die Grossherzogin Christine (etwa aus dem Jahr 1615):

Ich möchte jene sehr klugen Väter bitten, dass sie mit aller Sorgfalt den Unterschied bedenken möchten, der zwischen den auf Meinung gegründeten und den beweisbaren Lehren besteht: Wenn sie sich nämlich deutlich vor Augen stellen würden, mit welcher Kraft die zwangsläufigen Schlussfolgerungen zwingend sind, würde ihnen eher klar werden, dass es nicht in der Macht der Professoren der beweisenden Wissenschaften steht, die Meinungen nach ihrem Willen zu ändern, indem sie sich bald dieser und bald jener anschliessen, und dass ein grosser Unterschied besteht zwischen dem Befehl an einen Mathematiker oder an einen Philosophen und der Anordnung an einen Kaufmann oder an einen Rechtsgelehrten, und dass die bewiesenen Schlüsse über die Dinge der Natur und des Himmels nicht mit der gleichen Leichtigkeit geändert werden können wie die Meinungen über das, was in einem Vertrag, einem Census oder einem Wechsel zulässig ist.

Hans Bieri, Der Streit um das kopernikanische Weltsystem im 17. Jahrhundert, Peter Lang Verlag

Anders gesagt, auch vor 400 Jahren musste die Rolle der Wissenschaft den Mächtigen erklärt werden. In den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften gibt es keine Naturgesetze, da das ganze System menschengemacht ist. Gesetzliche Vorschriften, von denen erstaunlich viele für das Funktionieren der angeblich «freien Marktwirtschaft» erforderlich sind, können wir jederzeit ändern. Die Gesetze der Natur eben nicht. Ich bin nicht sicher, ob alle Juristen und Ökonomen dies verstehen.

Jesse Springer

Mit dem Coronavirus meldet sich die reale Welt zurück. Plötzlich haben wir es mit einer externen Bedrohung des Wirtschaftssystems zu tun, die sich nicht um menschengemachte Regeln und Gesetze kümmert. Erstaunt stellen wir fest, dass ein grosser Teil der Privatwirtschaft über Nacht abgestellt werden kann und wir trotzdem genug zu essen haben. Sogar das Klopapier reicht für alle. J. K. Galbraith hat dies in seinem Buch «Gesellschaft im Überfluss» schon im Jahr 1958 vorhergesagt. In einer Gesellschaft, deren materielle Bedürfnisse schon befriedigt sind, produziert die Wirtschaft hauptsächlich Produkte, die niemand braucht. «Die Wirtschaft schafft Arbeitsplätze» wird oft behauptet. Hoffentlich tut sie mehr als das, denn sonst müssten wir einen anderen Weg finden, die Menschen zu beschäftigen.

Im Gegensatz zur Klimaerwärmung stellt das Coronavirus keine Bedrohung der Menschheit dar. Weil aber diesmal Männer über 50 zur Risikogruppe gehören und ein Virus keine Lobby hat, wurde sofort reagiert. Es macht Sinn, die Verbreitung des Coronavirus so weit wie möglich einzudämmen, damit eine Überforderung des Gesundheitswesens vermieden werden kann. Zum Glück scheinen die meisten Regierungen der Welt dies zu verstehen und haben entsprechende Massnahmen ergriffen.

Die Coronakrise wäre auch eine gute Gelegenheit, unser Wirtschaftssystem grundsätzlich zu hinterfragen. Um dies zu verhindern, will eine Mehrheit der Meinungsbildner aus Politik und Wirtschaft möglichst schnell zur vermeintlichen Normalität zurückkehren. Es bestünde sonst die Gefahr, dass wir aus der Krise etwas lernten.

Genau dies sollten wir aber tun. Denn wir neigen dazu, jedes Problem mit minimalistischen Veränderungen des bestehenden Systems lösen zu wollen. Die Klimaerwärmung wollen wir mit Elektroautos und Solarpanels in den Griff bekommen, obwohl dies offensichtlich nicht ausreicht. Das Coronavirus lehrt uns, dass wir gewisse Herausforderungen auf diese Art nicht meistern können. Auch bei der Erwärmung des Erdklimas gibt es keinen Grund zu vermuten, dass das Problem innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystems gelöst werden kann. Wir brauchen komplett neue Ideen.

Mike Lukovich

Die Frage ist, wer ein neues System aufbauen soll. Menschen wehren sich gegen Veränderungen, weil sie Angst haben, etwas zu verlieren. Es macht wenig Sinn, eine Gruppe von Kardinälen damit zu beauftragen, die Frage nach der Existenz Gottes zu klären. Analog können und wollen Menschen, die mit dem bestehenden Wirtschaftssystem reich und erfolgreich wurden, das System kaum umbauen. Niemand verlässt gerne den Bereich des Bekannten, um sich neue Themen zu widmen. Wenn Menschen doch über den Tellerrand schauen, werden sie mit dem Vorwurf konfrontiert, keine Experten zu sein.

Ich verstehe die Sorgen. Als Physiker hätte ich auch ein grosses Problem, wenn die Naturgesetze morgen aufhören würden zu gelten. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies passiert und ich es auch überleben würde, schätze ich aber als sehr gering ein. Somit bilden wissenschaftliche Fakten eine gute Basis für den Aufbau eines neuen Systems. Nicht weil sie von den Wissenschaftlern stammen, sondern weil sie wahr sind.

Wer jetzt bereit ist, der Bitte von Galileo folgend den eigenen Augen zu trauen, stellt Erstaunliches fest. In vielen Städten der Welt hat sich die Luftqualität wegen des wirtschaftlichen Lockdowns massiv verbessert und der Lärmpegel ist gesunken. Dies ist eindeutig gut für Mensch und Umwelt. Der wirtschaftliche Schaden hingegen ist systembedingt. Wenn unser Wirtschaftssystem nicht auf Wachstum und Überkonsum basierte, wäre der Lockdown kein Problem. «Die Wirtschaft leidet» verkünden die Medien unisono, aber niemand fragt sich wieso. Rein abgesehen davon, dass juristische Personen kaum leiden können.

Gleichzeitig geht es dem Planeten schlechter als je zuvor. Die ersten drei Monate dieses Jahres waren viel zu heiss, und Europa wird wieder von einer Dürre mit grossen Ernteausfällen bedroht. Der Lockdown wird den globalen CO2-Austoss um etwa 5% in diesem Jahr reduzieren. Wir brauchen aber eine Reduktion von über 7% pro Jahr über die nächsten 30 Jahre, um eine Klimakatastrophe abzuwenden. Man muss kein Wissenschaftler sein, um zu verstehen, dass dies schwierig wird. Wenn wir in alten Denkmustern verharren, schaffen wir es sicher nicht.


Nachtrag 1: Ich möchte Margaret Thatcher nicht unrecht tun. Dass sie die Kohleminen in Grossbritannien geschlossen hat, war wohl gut für die Umwelt. Sie hat auch im Jahr 1989 in einem dringlichen Appell an die Generalversammlung der Uno vor den Gefahren der Umweltzerstörung und der Klimaerwärmung gewarnt. Ihre politischen Ideen waren sonst aber nicht besonders progressiv.

Nachtrag 2: Viele Denker*innen setzen sich im Moment mit den Konsequenzen der Coronakrise auseinander. Hier eine kleine Auswahl:

Nachtrag 3: Hier noch der Auszug aus dem Brief von Galilei Galileo:

Alla Serenissima Madama, la Gran Duchessa Madre.

….

Io vorrei pregar questi prudentissimi Padri, che volessero con ogni diligenza considerare la differenza che è tra le dottrine opinabili e le dimostrative; acciò, rappresentandosi ben avanti la mente con qual forza stringhino le necessarie illazioni, si accertassero maggiormente come non è in potestà de’professori delle scienze demostrative il mutar l’opinioni a voglia loro, applicandosi ora a questa ed ora a quella, e che gran differenza è tra il comandare a un matematico o a un filosofo e ‘l disporre un mercante o un legista, e che non con l’istessa facilità si possono mutare le conclusioni dimostrate circa le cose della natura e del cielo, che le opinioni circa a quello che sia lecito o no in un contratto, in un censo, o in un cambio.

Galileo Galilei, etwa 1615

Flattening the curve for the Coronavirus

In order to better understand the development of the Coronavirus pandemic, I decided to do my own statistical analysis. I only considered the number of deaths in various countries, as this number is probably more reliable than the number of infections. I then made the assumption that this number grows exponentially, but that the coefficient of growth changes linearly with time:

Simple model for the number of deaths N(t). The exponent α(t) is assumed to change linearly with time.

It is now possible to make a simple fit for each country and to estimate when the curve will flatten and the number of deaths will stop increasing.

I was surprised how well it worked. Below is the result for Italy

Number of deaths from the Coronavirus in Italy

The analogous plot for Switzerland looks as follows

Number of deaths from the Coronavirus in Switzerland

Unfortunately, the United States is not even close to flattening the curve

Number of deaths from the Coronavirus in the United States

It is now possible to compare different countries both in terms of actual deaths

or in terms of the fitted curves

The curves tell us an important message: If strict measures are implemented to stop the spread of the virus, this actually helps. It is the only thing we can do at the moment.

As public service, I have made the Python script for the analysis available. It automatically downloads the data from the Center for Humanitarian Data, performs the analysis and plots the data.


Here is a scientific study of the efficacy of different measures from Imperial College: Estimating the number of infections and the impact of nonpharmaceutical interventions on COVID-19 in 11 European countries.

Here is a useful tool for a more detailed analysis of the disease from the University of Basel: https://neherlab.org/covid19/

BTW, there is a good reason be be wary of exponential growth, as this delightful video shows: