Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Parsifal: «Ich schreite kaum, doch wähn ich mich schon weit.»
Gurnemanz: «Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit.»

Wagner, Parsifal

Während der letzten sechs Monate habe ich eine Zeitreise unternommen. Statt mich von den Massenabfertigungssystemen der modernen Reisebranche von einem Kontinenten zum anderen verfrachten zu lassen, habe ich mich mit Orten und Menschen auseinandergesetzt, die ich einst gekannt habe. Vor allem bin ich dorthin gereist, wo ich nicht nur meiner Kreditkarte wegen freundlich empfangen wurde. Ich habe alte Freunde wiedergesehen und neue Bekanntschaften gemacht.

Abschied von Malte Jönsson – «Ihn fällte des Alters siegende Kraft»

Die Reise fing im Elternhaus zusammen mit meinem 90-jährigen Vater an und hörte mit dem Abschiednehmen in der wunderbaren mittelalterlichen Kirche von Stehag auf. Ein langes Leben ist zu Ende gegangen und es lohnt sich, darüber nachzudenken.

Wer, wie mein Vater, in den dreissiger Jahren auf einem Bauernhof im neutralen Schweden geboren wurde, hatte gute Voraussetzungen, alt zu werden. Die Kindheit und Jugend wurden mit körperlicher Arbeit an der frischen Luft verbracht und im Alter standen die Errungenschaften der modernen Medizin zur Verfügung. Ausserdem musste weder er noch seine älteren Brüder befürchten, in einen sinnlosen Krieg geschickt zu werden. Heute ist alles anderes und die Jugend wird sich wohl damit abfinden müssen, deutlich früher zu sterben. Nicht nur wegen des ungesünderen Lebens, sondern vor allem weil Ressourcenknappheit und Klimawandel die vier Reiter der Apokalypse wieder auf die Bühne geholt haben. Die schwedische Neutralität ist widerstandslos aufgegeben worden und die Rüstungsausgaben steigen weltweit (Trends in World Military Expenditure, 2021 | SIPRI). Während der COVID-Pandemie ist es uns allen klar geworden, dass die Idee der internationalen Zusammenarbeit eine Illusion bleibt. Wir erleben gerade den gefährlichsten Moment der Menschengeschichte, wie Noam Chomsky richtig festgehalten hat.

Mein Vater Ende der 40er Jahre.

Als mein Vater mit der Mistgabel auf dem Pferdewagen stand, war der zweite Weltkrieg gerade zu Ende gegangen. Es folgte eine Periode beispiellosen wirtschaftlichen Wachstums und technischen Fortschritts, welche das Denken der Menschen geprägt hat. Vor allem die Kernspaltung und die Verheissung der unbegrenzt verfügbaren Energie (E = mc2) hat die Menschheit fasziniert. Plötzlich schien jedes Problem durch Investitionen in neue Technik lösbar zu sein. Das dafür benötigte Geld sollte durch Wachstum erzeugt werden und die Aufgabe der Politik wurde auf das Bereitstellen günstiger Rahmenbedingungen für die Wirtschaft reduziert. Der Fantasie (bzw. Geldgier) der Menschen waren keine Grenzen gesetzt und zum ersten Mal in der Geschichte wurde Übermut (Hybris) zur Tugend. Wer das Ausmass des Wahnsinns verstehen möchte, soll sich bitte Our Friend the Atom aus dem Jahr 1957 auf Youtube anschauen. In diesem von Walt Disney produzierten Film wird vom deutschen Physiker und ehemaligen SS-Mitglied Heinz Haber der Segen der radioaktiven Strahlung sehr anschaulich und kindergerecht erklärt. Allerdings scheint auch Dr. Haber verstanden zu haben, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe möglichst bald aufhören müsste – die Nutzung der Atomkraft war für ihn die einzige Lösung.

Was dagegenspricht, sich in Fragen, die menschliche Angelegenheiten angehen, auf Wissenschaftler qua Wissenschaftler zu verlassen, ist nicht, daß sie sich bereitfanden, die Atombombe herzustellen, bzw. daß sie naiv genug waren zu meinen, man würde sich um ihre Ratschläge kümmern und bei ihnen anfragen, ob und wie sie eingesetzt werden sollte; viel schwerwiegender ist, daß sie sich überhaupt in einer Welt bewegen, in der die Sprache ihre Macht verloren hat, die der Sprache nicht mächtig ist.

Arendt, Hannah. Vita activa oder Vom tätigen Leben

Der oben genannte Film vermittelt den Eindruck, dass es bei der Kernenergie nicht nur um eine neue Technologie handelt, sondern um eine Revolution der menschlichen Existenz. Heute ist das gleiche Phänomen in der Diskussion der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz (KI) zu beobachten. Die Automatisierung versprach die Abschaffung der physischen Arbeit, die KI das Ende des menschlichen Denkens. Dabei ist die Fähigkeit kritisch zu Denken heute wichtiger als je zuvor.

Warum werden gerade diejenigen Wünsche, die sich auf Irrtümern gründen, in uns übermächtig? Nichts haben sie mir später mehr übelgenommen als meine Weigerung, mich ihrem fatalen Wunschentzücken hinzugeben.

Christa Wolf, Kassandra

Es gab auch vernünftigere Stimmen auf der Welt. Schon während des zweiten Weltkrieges hat sich Erwin Schrödinger (Nobelpreis 1933) Gedanken zur thermodynamischen Erklärung des Lebens gemacht (Was ist Leben?). Seine Ideen, zusammen mit den späteren Arbeiten von Ilya Prigogine (Nobelpreis 1977) und anderen, sind für eine wissenschaftlichen Definition der Nachhaltigkeit ausreichend. Leider hat sich niemand dafür interessiert. Im Jahr 1958 erklärte der renommierte amerikanische Ökonom J. K. Galbraith in seinem Buch The Affluent Society den Kapitalismus zum Auslaufmodell: Wenn Arbeit darin besteht, ein sinnloses Produkt zu erstellen, das niemand braucht und die Umwelt zerstört, wäre es viel besser, nicht zu arbeiten. Auch für diese offensichtlich korrekte Aussage hat sich niemand interessiert.

Im Jahr 1958 haben sich auch meine Eltern kennengelernt. Als sie fünf Jahre später heirateten, war das Buch Silent Spring von Rachel Carson gerade erschienen, das vielleicht als Anfang der Umweltbewegung gesehen werden kann. Vor 50 Jahren, als ich erst fünf Jahre alt war, wurde die Studie Grenzen des Wachstums des Club of Rome veröffentlicht, die aufgrund ihrer Richtigkeit weitestgehend ignoriert wurde. Dafür wurden Wissenschaftler, welche die Studie nicht verstanden haben, später mit dem Nobelpreis geehrt (Why Economists Can’t Understand Complex Systems: Not Even the Nobel Prize, William Nordhaus – Resilience).

Als die kleine Kirche in Stehag im 12. Jahrhundert gebaut wurde, waren die letzten vorchristlichen Tempel im damals dänischen Reich gerade abgerissen und ein Weltbild durch ein neues, nicht weniger falsches, ersetzt worden. Etwa 500 Jahre später hat ein gewisser Galileo Galilei einen bemerkenswerten Brief an die Grossherzogin Christina von Toskana verfasst. Er verteidigt darin die empirischen Wissenschaften, deren Aussagen auf Beobachtungen der Natur basieren, und hält fest, dass die Mächtigen dieser Welt zwar Gesetze, aber keine Naturgesetze, erlassen können. Was dabei auffällt, ist die Naivität Galileos. Er glaubte, dass seine Forschungsergebnisse allein wegen ihrer Richtigkeit akzeptiert werden müssten und verstand nicht, dass die Mächtigen sich nur für ihre Nützlichkeit interessierten. Da die katholische Kirche darin vor allem ein Infragestellen der göttlichen Ordnung gesehen hat, wurde Galileo unter Hausarrest gestellt und zum Schweigen gebracht.

Ich entdeckte vor wenigen Jahren, wie Ihre durchlauchte Hoheit wohl wissen, viele besondere Erscheinungen am Himmel, die bis dahin unsichtbar gewesen waren. Weil diese, sei es wegen ihrer Neuheit, sei es wegen mehrerer Konsequenzen, die sich aus ihnen ergeben, einigen Behauptungen über die Natur widersprechen, die üblicherweise von den Philosophenschulen akzeptiert werden, brachten sie eine nicht geringe Zahl von Professoren gegen mich auf, gleichsam als ob ich diese Dinge eigenhändig an den Himmel gesetzt hätte, um Natur und Wissenschaft in Verwirrung zu bringen.

Galileo Galilei, Brief an die Grossherzogin Christina

Wir müssen die wissenschaftliche Revolution, die vor etwa 400 Jahren stattgefunden hat, neu denken. Sie war weniger ein Sieg der Vernunft als ein machtpolitischer Entscheid, die Priester durch Wissenschaftler zu ersetzen, genauso wie die Könige der Wikinger 500 Jahre früher das Christentum aus realpolitischen Überlegungen eingeführt haben. Weltanschauungen sind nun mal Narrative, die bestehende Machstrukturen rechtfertigen sollen, und die Vertreter der Kirche und der Wissenschaft werden wegen ihrer Nützlichkeit geduldet. Dafür müssen sie einfach so tun, als könnten sie alle Probleme der Menschheit lösen und dem König niemals widersprechen. Die COVID-, Klima-, oder Energiestrategien eines Landes sind aus wissenschaftlicher Sicht immer gut, weil die Wissenschaftler sonst kein Geld bekommen. Ich übertreibe vielleicht ein wenig, aber der Interessenskonflikt ist offensichtlich, da die Forscher ihren Lohn direkt vom Staat beziehen. Es erstaunt immer wieder, wie häufig Forschungsergebnisse im Interesse des Auftraggebers ausfallen. Die Warnung Galileos aus dem Jahr 1615 ist somit ungehört geblieben, und nur so ist die Idee des nachhaltigen Wachstums als Antwort auf den Klimawandel zu verstehen. Diese neuste Inkarnation des Perpetuum Mobiles ist eher durch ihre politische Notwendigkeit als ihre physikalische Machbarkeit zu erklären.

Die Krise der Menschheit ist ein direktes Resultat unseres Weltbildes und deshalb nicht durch neue Technologie zu lösen. Hingegen wäre unabhängige Forschung, die nicht im Interesse der Geldvermehrung durchgeführt wird, sehr wichtig. Die Forschungsförderung führt aber dazu, dass die Universitäten heute keine Kraft des gesellschaftlichen Wandels sind und die Prophezeiung Galileos aus dem Bühnenstück von Bertolt Brecht sich leider bewahrheitet hat. Aus den Forschern ist “ein Geschlecht erfinderischer Zwerge” geworden, die für alles gemietet werden können.

Unter diesen ganz besonderen Umständen hätte die Standhaftigkeit eines Mannes große Erschütterungen hervorrufen können. Hätte ich widerstanden, hätten die Naturwissenschaftler etwas wie den hippokratischen Eid der Ärzte entwickeln können, das Gelöbnis, ihr Wissen einzig zum Wohle der Menschheit anzuwenden! Wie es nun steht, ist das Höchste, was man erhoffen kann, ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können.

Brecht, Bertolt. Leben des Galilei

Heute brauchen wir aber keine Wissenschaft, um den schlechten Zustand unseren Planeten zu verstehen. Der grösste Vorteil einer Zeitreise ist vielleicht, dass sie die schleichende Verschlechterung der Umwelt gnadenlos offenbart. Wer zu den Orten seiner Kindheit zurückkehrt, stellt sehr schnell fest, dass die Wiesen und Wälder von damals, durch Strassen, Parkplätze, und Häuser ersetzt worden sind. Die biologische Vielfalt ist einer primitiven Konsumgesellschaft gewichen, was sicher nicht nachhaltig ist. Leider scheinen viele Menschen dies nicht zu verstehen, weil sie jeglichen Bezug zur Natur und zu biologischen Prozessen verloren haben. In der Generation meines Vaters ist praktisch jeder auf einem Bauernhof aufgewachsen und hat verstanden, wie Essen auf den Tisch kommt. Heute ist dies nicht mehr der Fall.

Es geht inzwischen, inmitten von Finanzkrise, Klimawandel, Ressourcenkonkurrenz und Globalisierung der Wirtschaftskreisläufe, schon längst nicht mehr um die Gestaltung einer offenen Zukunft: Aller Schwung ist dahin. Es geht nur mehr um Restauration; um die Aufrechterhaltung eines schon brüchig gewordenen Status quo, in diesem Sinn nicht mehr um Politik, sondern um hektisches Basteln.

Welzer, Harald. Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand
Eine letzte Warnung an die Menschheit von Ann-Margret Jönsson, geb. Nordborg.

Meine Mutter hat die Zusammenhänge der Natur intuitiv sehr gut verstanden. Mit unglaublicher Energie, Kreativität und künstlerischer Begabung schien sie sich zum Ziel gesetzt haben, die Welt noch schöner zu gestalten. Als sie im Alter von nur 47 Jahren an Krebs erkrankte, haben ihre Kräfte noch ausgereicht, um als Abschied eine letzte Warnung and die Menschheit zu schaffen. Entstanden ist dabei ein Wandteppich mit einer blutenden Erde unter einer kaputten Ozonschicht.

Einige Monate später, im Juni 1988, war sie tot. Den Wandteppich habe ich im Elternhaus wiedergefunden und in unserem Sommerhaus aufgehängt. Möge er dort künftige Generationen zum Nachdenken anregen.


Zeit zum Handeln

Nach meinem sechsmonatigen Sabbatical bin ich hochmotiviert in die Schweiz zurückgekehrt. Ich werde die mir verbleibende Zeit nutzen, um etwas Gutes zu tun.

Hier einige Links zu Aktivitäten, die in den letzten Monaten passiert sind.

  • Die Idee der globalen Klimakompensation hat eine eigene Webseite erhalten: Global Climate Compensation.
  • Ich habe die grossartige Klimajournalistin Rachel Donald kennengelernt. Sie hat den Podcast Planet: Critical ins Leben gerufen und mich eingeladen, über die Klimakompensation zu sprechen.
  • Meine Beiträge für higgs.ch sind vom Energieexperten Thomas Elmiger gerettet worden. Sie sind hier zu finden: Henrik Nordborg schreibt für Energie-Experten.
  • Als Physiker habe ich mich von Erwind Schrödinger, Ilya Prigogine und andere inspirieren lassen und arbeite jetzt an einer thermodynamischen Definition der Nachhaltigkeit. Einen ersten Vortrag zu diesem Thema durfte ich im August dieses Jahres an der CMD29 Konferenz in Manchester halten. Die Konferenz hatte nichts mit Nachhaltigkeit zu tun, aber die Organisatoren waren der Meinung, dass das Thema uns allen angeht.
  • Ich suche Partner für eine Beteiligung am MEER-Projekt (Solar Radiation Managment | Meer). Es geht darum, die Sonneneinstrahlung an geeigneten Orten mit Spiegeln abzuschirmen.

Was mich in den letzten Monaten besonders beeindruckt und gefreut hat ist die Tatsache, dass immer mehr Entscheidungsträger der Wirtschaft die Notwendigkeit des Handelns einsehen. Es laufen auch Aktivitäten über die ich im Moment nichts sagen darf 😊.

PS: Ich habe im obigen Text bewusst auf gendergerechte Sprache verzichtet. Die Welt der Vergangenheit war männerdominiert, und ich möchte nicht die Frauen für unsere Probleme verantwortlich machen.

Kein Profit mit fossilen Brennstoffen

Ich bin endlich dazu gekommen, eine etwas detaillierte Beschreibung der globalen Klimakompensation zu verfassen: Ending profits from fossil fuels.

Eine deutsche Kurzbeschreibung ist weiterhin auf higgs.ch zu finden: Haben wir den Mut, die Klimakatastrophe zu verhindern.

Der Plan ist ambitioniert, wie es sich für einen Notstand gebhührt. Bei einer Umsetzung würden weltweit alle Geschäftsmodelle, die von fossilen Brennstoffen abhängig sind, plötzlich unrentabel werden.

Ich freue mich auf das Feedback.

Das Klima wartet nicht!

Es geht wieder los! Nach fast drei Semestern Lockdown und sonstigen COVID-Massnahmen freut es mich sehr, dass die Nachhaltigkeitswoche an der OST in Rapperswil wieder vor Ort stattfinden wird. Einige engagierte Studierende sind dabei, das Programm der NHWR im Frühling 2022 zusammenzustellen. Weitere Infos werden auf der Webseite veröffentlicht werden: Rapperswil – Sustainability Week Switzerland.

Ich bin von den Studierenden eingeladen worden, mit einer Neuauflage meines Klimavortrages die Menschen wieder wachzurütteln. Dies mache ich selbstverständlich gerne, da ein Aufwachen nottut. Diesmal werde ich aber vor allem über Lösungen reden.

Öffentlicher Vortrag an der OST:

Globale Klimakompensation

Wie wir die Klimakrise in zwei Schritten lösen könnten, und warum wir es besser tun sollten.

Der Vortrag gibt einen Überblick über den Zustand des Planeten, erklärt wieso bisherige Lösungsansätze für die Klimakrise nicht nur versagt haben, sondern auch zum Scheitern verurteilt sind, und präsentiert eine realistische Vision für die Zukunft.

Zeit: 18. November 2021, Türöffnung um 17:00
Ort: OST – Aula, Oberseestrasse 10, 8640 Rapperswil

Link zur Anmeldung

Flyer zum Ausdrucken

Der Vortrag hat drei Teile:

Die Fakten sind schnell erzählt: Fast 30 Jahre nach der ersten Klimakonferenz der UNO steigen die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre schneller als je zuvor, weil immer mehr fossile Brennstoffe verbraucht werden. Von erfolgreicher Klimapolitik zu reden, wäre nicht nur vermessen, sondern verlogen.

Das Problem ist, dass die nationale und globale Klimapolitik auf der falschen Annahme basiert, dass neue Technologien fossile Brennstoffe irgendwann überflüssig machen werden. Diese Annahme war schon vor 30 Jahren sehr optimistisch und heute wissen wir, dass sie definitiv falsch ist.

Wenn das Grundproblem verstanden ist, wird die Lösung einfach: Globale Klimakompensation verändert die Spielregeln der globalen Wirtschaft dahingehend, dass Klimazerstörung wirtschaftlich keinen Sinn mehr macht.

Die Menschheit kann noch gerettet werden, aber wir haben nur eine letzte Chance und weniger als 10 Jahre, um dies zu tun. Die Zeit für Verzögerungen, Ausreden und endlose Debatten ist definitiv vorbei.

Ich freue mich auf zahlreiches Erscheinen und eine angeregte Diskussion.

Geh aus mein Herz und suche Freud

Manchmal braucht man einfach eine Pause. Mein Lieblingsort, um Energie zu tanken, ist eine Insel an der schwedischen Ostküste, wo ich jeden Sommer seit meiner Geburt einige Wochen verbracht habe. Nicht nur kenne ich die Menschen dort, sondern die Landschaft ist inzwischen im neuronalen Netz meines Hirns permanent gespeichert. Es tönt vielleicht sentimental, aber ich bin mit einigen Felsen und Bäumen dort gut befreundet.

Hier das Ergebnis eines Spazierganges am frühen Morgen im vergangenen Sommer. Vielleicht hilft es euch auch, in diesen eher düsteren Zeiten etwas Seelenruhe zu finden.

Ein morgendlicher Spaziergang in Schweden. Musik: The Real Group, Stämning (2002)

Es handelt sich in keiner Weise um unberührte Natur. Auf der Insel gibt es drei bekannte Siedlungen aus der Jungsteinzeit und die Wikinger waren auch dort. Viele Ortsnamen in der Gegend fangen mit Tor- an, dem skandinavischen Namen des Wettergottes. Wir können also davon ausgehen, dass die Insel währenden der letzten 5000 Jahre landwirtschaftlich genutzt wurde. Diese Landwirtschaft war offensichtlich nachhaltig, denn der Boden ist immer noch sehr fruchtbar. Für die letzten 100 Jahre trifft dies wohl nicht mehr zu, wegen Überdüngung und Pestiziden. Ausserdem ist die Ostsee inzwischen so dreckig, dass die Fische nur in Schweden gegessen werden dürfen. Das grösste Problem mit Surströmming ist nicht der Gestank, sondern die chemische Verseuchung.

Zur Musik: Die Hymne «I denna ljuva sommartid» ist eines der bekanntesten Kirchenlieder Schwedens und wird in dieser Version von «The Real Group» gesungen. Der Text ist eine Übersetzung aus dem Deutschen und das Original wurde von Paul Gerhardt im Jahr 1653 geschrieben. Offensichtlich haben schon damals einige Menschen eine tiefe Verbundenheit zur Natur verspürt, denn es handelt sich um einen Lobesgesang auf die Schöpfung.

Der deutsche Titel «Geh aus mein Herz und suche Freud» ist keine schlechte Empfehlung für die heutige Zeit. Nur wenn es uns bewusst ist, wie viel wir durch die Klima- und Umweltzerstörung verlieren werden, können wir die nötige Kraft und Motivation finden, etwas dagegen zu tun.

Wer auf einer Insel lebt, tut gut daran, sparsam mit Ressourcen umzugehen. Die Bewohner der Osterinsel haben dies nicht begriffen und sind als Zivilisation kläglich gescheitert. Wer auf dem einzig bewohnbaren Planeten im bekannten Universum lebt, täte auch gut daran, die Umwelt zu schonen. Leider wird diese einfache Feststellung im heutigen politischen Klima immer noch mit Radikalismus gleichgesetzt. Mit dem jüngsten Klimabericht des IPCC ist die Kluft zwischen dem wissenschaftlich Notwendigen und dem politisch Machbaren noch grösser geworden. Wir sollten übrigens aufhören, vom «Klimawandel» zu reden. Der Begriff wurde von politischen Beratern der Erdöllobby eingeführt, weil er weniger bedrohlich klingt als «Erderwärmung». Er ist aber sehr ungenau, da er nichts über die Ursachen und Folgen aussagt. Wenn schon, müssten wir immer vom «menschengemachten Klimawandel mit katastrophalen Auswirkungen» sprechen, was eindeutig zu lang ist. Ein wissenschaftlich präziserer Name wäre «Klimazerstörung». Nur wenn wir bereit sind, das Problem beim Namen zu nennen, können wir es auch lösen.

Die Klimazerstörung kann gestoppt werden. Nach diesem Sommer bin ich entschlossener denn je, dies auch zu tun: www.global-climate-compensation.org.

PS: Der Networkingtag an der OST in St Gallen verspricht spannend zu werden. Anmeldungen sind noch möglich.

Avoiding a Ghastly Future

An open letter to the authors of “Underestimating the Challenges of Avoiding a Ghastly Future” by Corey J. A. Bradshaw et al.

Dear authors:

I would like to thank you for writing this concise and yet comprehensive summary of the challenges we face. The article is mandatory reading for anyone interested humanity having a future, such as everyone having or planning to have children. Given that we only have one planet and human survival depends on it, elementary risk management dictates that we should only consider the worst-case scenarios. Viewed this way, our future does indeed look bleak.

Unfortunately, the conclusions of your paper seem strangely disconnected from the rest of it. We are not going to solve the sustainability crisis by being concerned, analyzing, or talking about it. George Monbiot recently wrote an article about the handling of the COVID-19 pandemic titled “Clueless”. It starts with the following sentence: “Here’s the chilling, remarkable thing that should be inscribed on everyone’s minds: there is no plan.” Unfortunately, the same is true for sustainability in general.

As the German author and journalist Philip Blom recently pointed out, the collective intelligence of humanity corresponds to that of a yeast cell. We gobble up all available resources, thereby destroying our environment, and then we die. The reason is not that humans are stupid and unable to understand what is going on. The problem is that we are trapped in a self-destructive economic system which forces us to act against our own interests.

None of the problems described in your paper can be solved within a global economic system built on competition. The reason is simple: no country is prepared to voluntarily sacrifice its competitiveness to save the environment. Everyone understands this. Some people therefore cling to the absurd idea that sustainable technology will make us more competitive and powerful, thereby eliminating the need for tough political decisions. This is complete malarkey as evidenced by the increase in global military spending. The world seems to be gearing up for the climate and resource wars of the future. And wars are not are not sustainable.

Saving humanity will require a global system which increases the cost of fossil fuel while providing climate justice through redistribution. In such a system, it would be in the national interest of every country to limit its greenhouse gas emissions. Furthermore, the system would also reduce the value of fossil fuel reserves, thereby relieving global tensions.

Fixing the problems you so expertly describe in your paper will be very expensive and is probably not compatible with a growing economy. We need a global system for sharing the costs. A surprisingly simple solution to this problem can be found here: www.global-climate-compensation.org. The idea would work, but it is politically difficult to implement. However, I prefer a politically difficult challenge to a physically impossible one.

We will never accomplish anything by simply pointing out problems. The time has come to use whatever influence we have a scientists and citizens to promote workable solutions. Or as poet laureate Amanda Gorman put it at the inauguration of President Biden:

The new dawn blooms as we free it.
For there is always light,
if only we’re brave enough to see it.
If only we’re brave enough to be it.

Amanda Gorman, The Hill We Climb